1. Selbst wenn es den Züchtern ausnahmsweise einmal gelänge, dem anscheinend typisch menschlichem Drang nach Übertypisierung nicht nachzugeben (was wir für unwahrscheinlich halten: Die Annahme, dass ausgerechnet die Familienlinien-Züchter von Altdeutschen Hütehunden besonnener und selbstkritischer vorgehen würden als andere Hundezüchter, ist wohl mehr als naiv.), dürfte es nicht gelingen, die einzelnen Schläge der Altdeutschen unter Vernachlässigung der Hüteeigenschaften genau mit dem Aussehen zu züchten, wie sie überliefert sind. Zu sehr sind die äußere Form und das Verhalten miteinander verknüpft.
2. Meistens wird es ausschließlich den Arbeitseigenschaften angelastet, dass Arbeitshunde oft nicht die gewünschten problemlosen Familienhunde abgeben. Wenn auch die Vitalität und Arbeitsfreude dieser Tiere im Privathaushalt anstrengend werden kann, ist die „Schuldzuweisung" an die Arbeitseigenschaften ein Trugschluß! Viele Arbeitshunde müssen - je nach Verwendungszweck - ein hohes Maß an Lern- und Kooperationsbereitschaft aufweisen. Genau diese Eigenschaften, die der Altdt. Hütehund (noch) ganz besonders ausgeprägt zeigt, wären auch für einen Familienhund wünschenswert. Sie sind aber ganz eng mit denen der Hüte-, Jagd- oder sonstigen Arbeitseigenschaften verflochten. Ein „Umzüchten" unter Weglassen der Arbeitseigenschaften hat also allzu oft auch den Verlust weiterer, eigentlich erwünschter Eigenschaften zur Folge.
Stellt man die Zucht dieser Spezialisten aber vom Verhalten auf das reine äußerliche Erscheinungsbild nach dem FCI Schönheitsstandard um, so muß sich die Rasse ganz zwangsläufig verändern.
Jedem ist einleuchtend, dass sich äußere Kennzeichen einer Rasse verändern, wenn man nicht mehr auf sie selektiert. Eine stehohrige Rasse bleibt nur stehohrig, wenn man die schlappohrigen Vertreter von der Zucht ausschließt.
Beim rein auf Verhalten gezüchteten BorderCollie wird jedoch ganz selbstverständlich vorausgesetzt, dass das Hüteverhalten und der freundliche, lernwillige Charakter der gleiche bleibt, auch wenn man nur noch nach Exterieur züchtet. Dies ist ein eklatanter Trugschluß, der unter anderem dazu geführt hat, dass es so viele BorderCollies mit übersteigertem Fehlverhalten gibt.
Das Hüteverhalten des BorderCollies besteht wie oben ausgeführt aus vielen Bausteinen. Wird nicht mehr auf die richtige Mischung geachtet, gehen manche Verhaltensweisen verloren, andere prägen sich dagegen übersteigert aus. Dies kann zwangsläufig zu unangepassten Verhaltensreaktionen im Alltag führen.
Erschreckenderweise zeichnen sich auch in der „Altdeutsche-Hütehund-Szene" Tendenzen ab, die Population in Familien-, Show-, Hobby- oder wie auch immer genannte Hunde und die traditionellen Arbeitshunde aufzuspalten. Offensichtlich hat man wieder einmal nichts gelernt aus den Fehlern, die bereits an anderen Rassen begangen wurden bzw. meint alles besser zu wissen als die warnenden Stimmen der Kynologen und Genetiker. Und das heuchelnderweise auch noch unter dem Vorwand, dem Erhalt der Altdeutschen Hütehunde dienen zu wollen.