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Arbeitslinie und
Familien-(Show- oder Hobby-)linie?

Die meisten Abeitshundrassen wurden mittlerweile entweder ganz ihrem ursprünglichen Zweck entfremdet (z.B. der Collie), indem man nurmehr nach dem äußeren Erscheinungsbild selektierte und die Arbeitseigenschaften außen vor ließ, oder aber die Population teilte sich auf in zwei unterschiedliche Linien: die Arbeitslinie und die Familien(Show-)linie. Davon abgesehen, daß es unter populationsgenetischen Gesichtspunkten äußerst unklug ist, eine u. U. sowieso recht kleine Hundepopulation auch noch in zwei unvereinbare Lager zu spalten, bringt das Vernachlässigen der Arbeitseigenschaften zugunsten eines bestimmten Aussehens auch noch diverse Probleme mit sich.
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1.   Selbst wenn es den Züchtern ausnahmsweise einmal gelänge, dem anscheinend typisch menschlichem Drang nach Übertypisierung nicht nachzugeben (was wir für unwahrscheinlich halten: Die Annahme, dass ausgerechnet die Familienlinien-Züchter von Altdeutschen Hütehunden besonnener und selbstkritischer vorgehen würden als andere Hundezüchter, ist wohl mehr als naiv.), dürfte es nicht gelingen, die einzelnen Schläge der Altdeutschen unter Vernachlässigung der Hüteeigenschaften genau mit dem Aussehen zu züchten, wie sie überliefert sind. Zu sehr sind die äußere Form und das Verhalten miteinander verknüpft. ​ 

Das Pelzfarm-Fuchs-Experiment von Prof. Belayev zeigt, daß bereits die Selektion auf ein einziges verändertes Kriterium (in dem Fall nur die geringere Fluchtbereitschaft) äußerlich völlig andere Formen hervorbrachte als die ursprüngliche Wildform:
Da in Gefangenschaft gehaltene Füchse - vor allem bei den artwidrigen Umständen der Pelztierfarmen - starkes Stressverhalten zeigen, was sich wiederum auf die Pelzqualität auswirkt, selektierte Belayev auf ruhige Tiere, die eine geringe Fluchtdistanz zeigten. Nach nur 18 Generationen zeigte diese Fuchspopulation viele Verhaltensmerkmale der domestizierten Hunde: Sie suchten aktiv die Nähe zu den Pflegern, kletterten auf ihnen herum, ließen sich herumtragen und Spritzen geben, aus der Hand füttern, rollten sich auf den Rücken, um sich den Bauch kraulen zu lassen und kamen, wenn man sie rief. Überraschenderweise sahen sie auch aus wie Hunde: Sie hatten häufig geschecktes Fell, Hängeohren und eingerollte Schwänze. Sie wurden nicht mehr einmal, sondern zweimal pro Jahr läufig. Und sie bellten. Auf keines dieser Merkmale wurde absichtlich hingezüchtet - aus Sicht der Pelzindustrie waren gescheckte Füchse sogar ein ausgesprochener Fehlschlag -, sondern das Selektionskriterium war ausschließlich "Gelassenheit".   


Lassen wir dazu Prof. Ray Coppinger (Professor für Biologie) und Lorna Coppinger (ebenfalls Biologin) zu Worte kommen (R. u. L. Coppinger: „Hunde", 2001):

Es gibt Hunderte verschiedene Hunderassen. Jede erfüllt einen bestimmten Zweck. Jede hat einen ganz bestimmten Körperbau. Der besondere Körperbau einer Rasse ermöglicht es ihr zumindest theoretisch, ihren Zweck besser zu erfüllen, als das jede andere Rasse oder Spezies könnte. Man könnte auch sagen, dass die kontinuierliche Selektion auf bessere Arbeitsleistung zu einer ganz besonderen Körperform der Tiere geführt hat. ....

Der Arbeitshund wurde auf ein bestimmtes Verhalten hin selektiert. Der Schlittenhund zum Beispiel wurde darauf selektiert, gemeinsam mit anderen Hunden in einem Zuggeschirr möglichst schnell zu laufen. Die Selektion auf dieses Verhalten führte dazu, dass sich ihr Körperbau und ihre Form entsprechend veränderten. Die Hunde können nun aufgrund ihrer Körperform ein schnelles Verhalten zeigen, und das mit Ausdauer und Elan. Diesen Zusammenhang zwischen Form und Verhalten finden wir überall vor.
Wenn wir also das Verhalten eines Hundes ändern wollen - damit er ruhiger und weniger lebhaft ist -, müssen wir auch seine Form verändern. Für den Züchter bedeutet das ein Dilemma. Das Publikum will Haushunde, die genauso aussehen wie die traditionellen Arbeitshunde, es ist aber gleichzeitig unerwünscht, dass sie das Verhalten der Arbeitshundrassen an den Tag legen. Es ist unmöglich, auf ein Verhalten zu selektieren, das einen geeigneten Haushund ergibt, dabei aber gleichzeitig die Form des Arbeitshundes beizubehalten. Dabei „fällt der Hund auseinander". ....

Wie im Kapitel über die Haushunde ausgeführt, sind Hunde in den falschen Händen aber sehr gefährdet. Viele Hundezüchter erzielen durch ihre Versuche, eine Hunderasse reinrassig zu erhalten, unerwünschte Effekte. Sie behandeln Rassen so, als würde es sich um eine Spezies handeln, und isolieren kleine Populationen sexuell, um ihren traditionellen und idealen Phänotyp zu erhalten. Sexuelle Isolation von der Hundepopulation insgesamt hat aber für die Hunde, die in der Falle einer reinen Rasse gefangen sind, schwerwiegende Auswirkungen. Es stellt sich ja auch heraus, dass die Bemühungen, Hunde mit gefügigem Wesen, aber unter Bewahrung des ursprünglichen Aussehens zu züchten, nur wenig Erfolg zeigen. Größe und Form konstant zu halten und gleichzeitig das Verhalten zu ändern, dürfte eine dieser Grenzen sein, die den Entwicklungsmöglichkeiten gesetzt sind, so wie man keinen Hund züchten kann, der gleichzeitig ein überlappendes Gesichtsfeld und den Hang zum Sabbern hat.

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2.   Meistens wird es ausschließlich den Arbeitseigenschaften angelastet, dass Arbeitshunde oft nicht die gewünschten problemlosen Familienhunde abgeben. Wenn auch die Vitalität und Arbeitsfreude dieser Tiere im Privathaushalt anstrengend werden kann, ist die „Schuldzuweisung" an die Arbeitseigenschaften ein Trugschluß! Viele Arbeitshunde müssen - je nach Verwendungszweck - ein hohes Maß an Lern- und Kooperationsbereitschaft aufweisen. Genau diese Eigenschaften, die der Altdt. Hütehund (noch) ganz besonders ausgeprägt zeigt, wären auch für einen Familienhund wünschenswert. Sie sind aber ganz eng mit denen der Hüte-, Jagd- oder sonstigen Arbeitseigenschaften verflochten. Ein „Umzüchten" unter Weglassen der Arbeitseigenschaften hat also allzu oft auch den Verlust weiterer, eigentlich erwünschter Eigenschaften zur Folge.

Selbst wenn man im Falle unserer Altdeutschen Hütehunde nicht gezielt gegen die Hüteeigenschaften selektiert, hat bereits der Verzicht auf die strenge Selektion auf diese Eigenschaften zur Folge, dass diese sich innerhalb weniger Generationen verwischen oder ganz verlieren. Ein derart komplexes Verhalten wie das Hüten unserer AHs kann nur durch gezielte Leistungsselektion erhalten werden!


Frau Dr. med.vet. Viola Hebeler (Praktizierende Tierärztin mit Interessenschwerpunkt Verhalten und Vererbung) erklärt diese Problematik am Beispiel des BorderCollie. Den vollständigen Text lesen sie hier: https://www.abcdev.de/artikel/QuoVadis.html. Folgende Auszüge (mit freundlicher Genehmigung von Frau Dr. Hebeler) lassen sich 1:1 auf den Altdeutschen Hütehund übertragen:

Exterieurmerkmale wie Größe, Ohrenstand, Felllänge werden überwiegend von der Vererbung bestimmt. Hier liegt der erbliche Anteil (Heritabilitätskoeffizient) bei ca. 60 %. Das bedeutet, daß die züchterische Bearbeitung sehr einfach ist. Selektiert man auf bestimmte Fellfarben, wird man schon nach wenigen Generationen überwiegend Hunde dieser Fellfarben haben. Der Umwelteinfluß auf die Fellfarbe ist äußerst gering.

Verhaltensmerkmale besitzen einen schwankenden Heritabilitätskoeffizienten. Einzelne Verhaltensweisen sind hoch erblich. Hierzu gehören spezielle Verhaltensweisen wie z.B. das Vorstehen von Jagdhunden. Das „Auge zeigen" von BorderCollies gehört ebenfalls zu diesem Verhaltenskomplex. In wissenschaftlichen Studien wurde nachgewiesen, daß auch Ängstlichkeit, Aggressivität und Nervosität einen relativ hohen Heritabilitätskoeffizienten haben. Dieses Verhalten wird zu bis zu 50 % von der erblichen Anlage bestimmt.
Kompliziertere Verhaltensweisen wie Trainierbarkeit oder die Fähigkeit, Probleme zu lösen, haben eine wesentlich kleinere erbliche Grundlage. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass komplizierte Verhaltensweisen aus verschiedenen einfachen „Verhaltensbausteinen" zusammengesetzt sind. Jeder dieser „Bausteine" wird wieder von mehreren Genen beeinflusst. Je mehr Gene aber für die komplizierten Verhaltensweisen gebraucht werden, umso kleiner ist die Wahrscheinlichkeit, dass alle gleichzeitig an ein Tier vererbt werden.

Das zeigt, wie schwierig es ist, bestimmte Charaktereigenschaften zuverlässig zu erzüchten. Hat man dann eine Rasse mit bestimmten Charaktereigenschaften, muß man ständig die Nicht-Merkmalsträger aus der Zucht aussortieren, um die Eigenschaften der Rasse zu erhalten.

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Stellt man die Zucht dieser Spezialisten aber vom Verhalten auf das reine äußerliche Erscheinungsbild nach dem FCI Schönheitsstandard um, so muß sich die Rasse ganz zwangsläufig verändern.

Jedem ist einleuchtend, dass sich äußere Kennzeichen einer Rasse verändern, wenn man nicht mehr auf sie selektiert. Eine stehohrige Rasse bleibt nur stehohrig, wenn man die schlappohrigen Vertreter von der Zucht ausschließt.


Beim rein auf Verhalten gezüchteten BorderCollie wird jedoch ganz selbstverständlich vorausgesetzt, dass das Hüteverhalten und der freundliche, lernwillige Charakter der gleiche bleibt, auch wenn man nur noch nach Exterieur züchtet. Dies ist ein eklatanter Trugschluß, der unter anderem dazu geführt hat, dass es so viele BorderCollies mit übersteigertem Fehlverhalten gibt. 

Das Hüteverhalten des BorderCollies besteht wie oben ausgeführt aus vielen Bausteinen. Wird nicht mehr auf die richtige Mischung geachtet, gehen manche Verhaltensweisen verloren, andere prägen sich dagegen übersteigert aus. Dies kann zwangsläufig zu unangepassten Verhaltensreaktionen im Alltag führen.

Ist der Hund irgendwann gar nicht mehr zu kontrollieren, beißt er die Kinder oder zerlegt das Mobiliar, heißt es dann: der Hund muß weg und zwar irgendwo hin, wo er Hüten kann. Es soll ja ein Arbeitshund sein, und wahrscheinlich fehle ihm nur die Arbeit.

Leider ist es aber inzwischen eher die Regel als die Ausnahme, dass diese Hunde für eine Ausbildung an Schafen nicht geeignet sind. Sie zeigen zwar noch Auge, haben aber meist keinen „cast", keinen „sheep sense" und sind vor allem kaum trainierbar. Sie sind nicht mehr so fanatisch auf die Hütearbeit, dass sie Korrekturen vom Ausbilder konstruktiv umsetzen würden. Läßt man sie nicht hetzen, wie sie wollen, verlassen sie meist das Feld.

Wo aber nun hin mit dem Problemhund? Als Haushund ist er zu unausgeglichen, als Arbeitshund mental nicht mehr geeignet.



Der Hundetrainer, CANIS-Dozent und Fachmann für das Rassehundewesen Gerd Leder schreibt dazu am Beispiel einiger Hunderassen (G. Leder: „Die Rassen des Hundes"):

  • Dackel sind anpassungsfähige und vielseitige Familienhunde, die sich, wenn man sie wie Hunde behandelt und nicht vermenschlicht, wunderbar erziehen lassen. Dem viel gegebenen Rat, bei der Anschaffung eines Dackels als Familienhund auf keinen Fall jagdliche Linien, sondern Show- und Hobbylinien zu wählen, kann ich mich nicht anschließen. Es sind die Gebrauchseigenschaften, die den Dackel zu dem gemacht haben, was er ist. Jagdtrieb alleine reicht da nicht aus. Neben Vitalität, physischer und psychischer Belastbarkeit gehören auch Intelligenz und Ausbildungsfähigkeit zu den Eigenschaften, die nicht nur einen guten Jagdhund, sondern auch einen guten Familienhund ausmachen. Ein Fehlen dieser Selektionsfaktoren (durch entsprechende Prüfungen) zu Gunsten einer Zucht nach ausschließlich ästhetischen Gesichtspunkten , führt mit der Zeit zwar zu jagdlich weniger geeigneten bis unbrauchbaren Hunden, aber nicht zwangsläufig zu besseren Familienhunden. Dies gilt sinngemäß auch für viele andere Hunderassen.
  • Retriever arbeiten nach dem Schuß, den sie ruhig neben ihrem Hundeführer sitzend abwarten. Nur Hunde mit extrem belastbaren Nerven konnten bei dem Lärm vieler Schrotflinten konzentriert das Kommando zum Apportieren abwarten. ... Viele Labradors haben heute nicht mehr die rasche Auffassungsgabe ihrer Vorfahren, aber immer noch deren Nervenkostüm und sind geradezu dickfellige Hunde, die kaum etwas merken. Aber auch die gegensätzliche Variante mit übersensiblem Wesen oder großer Ängstlichkeit findet man immer häufiger unter heutigen Labrador Retrievern. Die für die ursprüngliche Arbeit im kalten Wasser notwendige Fähigkeit, sich schnell eine isolierende Fettschicht anzufressen, ist allerdings den meisten Labradors erhalten geblieben und führt bei reinen Familienhunden schnell zu Übergewicht. 
  • ​Gerade bei Verzicht auf Leistungsprüfungen und ausschließlicher Zucht nach „Schönheit" gerät diese sehr schnell in eine Sackgasse. Viele Angehörige ehemaliger Arbeitsrassen wären heute weder physisch noch psychisch mehr in der Lage, die Aufgaben ihrer Ahnen zu erfüllen.
  • Der BorderCollie ist im Kreis der „edlen" Rassehunde noch relativ jung. ... Es gibt bereits neben den Arbeitslinien, die immerhin instinktsichere Hunde verlangen, so genannte Showlinien. Besonders hier gilt es, im Hinblick auf das Verhalten gut zu selektieren, da diese Hunde für die Arbeit an der Herde meist nicht mehr geeignet sind und besonders zu den o. g. Neurosen, Angstaggression etc. neigen.

Erschreckenderweise zeichnen sich auch in der „Altdeutsche-Hütehund-Szene" Tendenzen ab, die Population in Familien-, Show-, Hobby- oder wie auch immer genannte Hunde und die traditionellen Arbeitshunde aufzuspalten. Offensichtlich hat man wieder einmal nichts gelernt aus den Fehlern, die bereits an anderen Rassen begangen wurden bzw. meint alles besser zu wissen als die warnenden Stimmen der Kynologen und Genetiker. Und das heuchelnderweise auch noch unter dem Vorwand, dem Erhalt der Altdeutschen Hütehunde dienen zu wollen.

Auch ein Altdeutscher Hütehund ist ein Hund ist ein Hund ist ein Hund!! Und unterliegt genau den gleichen genetischen Prozessen und Gesetzmäßigkeiten wie alle anderen Hunde.
Wenn er auch im Alltag nicht ein so übertriebenes Hüteverhalten zeigt wie der BorderCollie, werden bei der züchterischen Vernachlässigung des AH-typischen Hüteverhaltens zwangsläufig auch andere damit gekoppelte Verhaltensfragmente wegfallen. Die Frage ist nur, welche.

Zeigt der nach Leistungsmerkmalen gezüchtete Altdt. Hütehund immerhin ein diesbezüglich instinktsicheres Verhalten (worauf man sich einstellen kann, um als Privathalter möglichen Schwierigkeiten vorzubeugen), könnte ein vorrangig nach äußerlichen Kriterien gezüchteter AH ein Verhalten zeigen, das einem Überraschungsei gleicht. Manche Verhaltensfragmente würden verstärkt, andere abgeschwächt, wieder andere aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen und evtl. völlig deplaziert gezeigt.

Als häufigste Nebenwirkungen der nicht leistungsorientierten Zucht nennen Fachleute u.a. Hyperaktivität, Nervosität, Kläffen, Neurosen, Unselbständigkeit, geringes Problemlösungsvermögen, Angstaggression...

Fazit: Wählen Sie beim Hundekauf unbedingt den altbewährten, traditionellen Arbeitshund. Da weiß man, was man hat!
Auch dort gibt es ruhigere Vertreter, die sich bei entsprechender Führung gut für den Privathaushalt eignen. 

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