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Hüteverhalten des Altdeutschen Hütehunds

Der Hütetrieb wird in der gängigen kynologischen Literatur als aus dem Jagdtrieb hervorgegangen beschrieben.
Vieles in der Literatur über Hütehunde bezieht sich auf Coppinger(2), der allerdings nur Verhaltensbeobachtungen an Border Collies beschreibt (die als Koppelgebrauchshunde eigentlich nicht einmal hüten, sondern treiben). 

Hüteverhalten ist jedoch nicht gleich Hüteverhalten, es variiert bedarfsbezogen je nach Hütevieh, -rasse und –größe, Herdengröße, Landschaft und nicht zuletzt betrieblichen Erfordernissen. Während der Altdeutsche Hütehund seinen Ursprung bei mittelalterlichen Bauernhundschlägen, also Wach- und Hofhunden hat und daher einen nicht zu unterschätzenden Wach- und Schutztrieb mitbringt, fehlt dieser dem Border Collie nahezu völlig.
Es gibt keine vergleichenden Forschungen über das spezifische Hüteverhalten aller einzelnen, oftmals ziemlich unbekannten Hütehundrassen bzw. -schläge. Die Erkenntnisse über den Border Collie werden i.d.R. einfach übernommen. 

Neben historischen Schriften befassen sich nur Chifflard/Sehner(9), Prof. Finger(10) sowie die Drs. Beuing (mdl., Vortrag) mit dem Hüteverhalten des AH, wobei die sich einig sind, daß dessen spezifische Art des „Abstrafens/Rügens/Maßregelns/Disziplinierens“ des Hüteviehs NICHT aus dem Jagdverhalten hergeleitet ist, sondern aus dem Sozialverhalten des Hundes. Demnach sieht der Hund in den Schafen rangniedrige Mitglieder des Sozialverbandes, die es zu disziplinieren gilt. 
Das Hüten der deutschen Hüte-/Schäferhunde ist somit kein oder zumindest nicht nur umgewandeltes Jagdverhalten wie z.B. beim Border Collie, sondern hat sich aus dem BEhüten der Sozialgemeinschaft Schäfer-Hütevieh-Hunde entwickelt.

Das wird auch belegt durch: 


  • Die Altdeutschen Hütehunde hatten eine Zeitlang ihrer mehrere hundert Jahre zählenden Geschichte eine Doppelfunktion als Hüte- und Herdenschutzhund, weshalb es unter Deutschlands Herdengebrauchshunden keine zusätzliche Herdenschutzhundrasse gibt, trotz der relativ langen Existenz großer Prädatoren. „Ein solcher Hund bewacht die Schafe nicht nur gegen Diebe und Wölfe, sondern hält auch die Herde zusammen, und hält sie von den um die Trift herumliegenden Saatfeldern, Wiesen, Schonungen in den Wäldern etc. ab.“ (14)  Die größeren, stärkeren Exemplare nannte man Schafrüden oder auch Schafrekel, sie wurden in Wolfsgebieten bevorzugt eingesetzt.  

    Noch bis ca. Ende der 70er Jahre des 20. Jh. wurde der ausgeprägte Schutztrieb der Schäfer- und Hütehunde bei Leistungshüten mit bewertet. Heutzutage allerdings würden allzu scharfe Hunde immensen Ärger mit der Bevölkerung und den Behörden hervorrufen, manche alten Schäfer dagegen beklagen die „Weichheit“ der heutigen Hunde.  

    Um Herdenschutz zu betreiben, muß der Hund auf das zu schützende Vieh sozialisiert sein. Das schließt aber ein Jagdverhalten gegenüber den Schutzbefohlenen aus. Eine Doppelfunktion konnte daher nur funktionieren, wenn auch das Hüten aus dem Sozialverhalten stammte.  

    Genau genommen hatten die damaligen Hütehunde noch eine weitere Funktion, nämlich als Jagdhund auf Wildschweine, weshalb die großen Schafrüden zusätzlich auch "Saurüden" genannt wurden, die mittelgroßen, wendigeren Hütehunde "Saubeller".
    Für die landesherrschaftlichen Sauhatzen rekrutierte die Herrschaft gerne die Hunde der Landbevölkerung, vornehmlich die der Schäfer. Diese wurden dann statt der eigenen "edlen" Jagdhunde beim Heraustreiben der Wildschweine aus dem Dickicht sowie beim Stellen und Verbellen geradezu verheizt, da sie i.d.R. ohne jede jagdliche Ausbildung auf die wehrhaften Schweine gehetzt wurden. Die Schäferhunde müssen aufgrund eines ausgeprägten Jagdtriebs besonders gut geeignet gewesen sein, immerhin hielt sich diese Praxis - regional unterschiedlich - bis ins 18. Jh. hinein.  

    Wenn die Hunde aber sowohl als Schutz- und Hütehund wie auch als Jagdhund zu gebrauchen waren, läßt das den Schluß zu, dass hier Hüte- und Jagdtrieb aus völlig unterschiedlichen Funktionskreisen stammen!

  • In früheren Zeiten gingen die Schäfer beim Ziehen hinter der Herde und trieben die Schafe an, voraus lief ein Hütehund und variierte nach Anweisung des Schäfers Richtung und Geschwindigkeit.(14)  Diese Arbeitsweise wäre unmöglich gewesen, wenn die Schafe aus Angst vor dem Hund als potentiellem Beutegreifer nur zurückgewichen wären, eine Herde hätte so nicht vom Platz kommen können. Je nach Region setzte sich - hier früher, da später - das Führen der Herde durch den Schäfer selbst durch; die Hunde gehen seitdem vorne beim Schäfer - die Schafe folgen also nach wie vor auch dem Hund! - oder flankieren die Herde.

  • Während Border Collies und andere Treibhunde die Schafe durch ihre Körpersprache oder auch rein durch ihre nahe Anwesenheit in Unruhe versetzen und so von hier nach da bewegen, patroulliert der Altdeutsche Hütehund unmittelbar vor den Nasen der grasenden Schafe auf und ab, ohne dass diese ständig aufschrecken und die Nahrungsaufnahme unterbrechen, sobald der Hund sich nähert. Die Schafe fühlen sich also von einem gut ausgebildeten Altdt. Hütehund nicht grundsätzlich bejagt bzw. wissen sie sehr gut zwischen "Jagdmodus" und "Überwachungsmodus" zu unterscheiden.

  • Mittels eines Computerprogramms zum Aufspüren genetischer Marker konnten Hunderassen in fünf genetische Cluster (Verwandtschaftsgruppen) eingeteilt werden. Das läßt Schlüsse zu über Ursprünge und Entwicklung der verschiedenen Rassen. Die Rassen eines Clusters stehen sich genetisch sehr nahe, während sich die Cluster untereinander genetisch deutlich unterscheiden. Es wurden die Gruppen hunting dogs (Jagdhunde), herding dogs (Hütehunde = Schäferhunde), watchdogs (Molosser, Doggen), mountain dogs (Berghunde) sowie wolf dogs (Wolfshunde) gefunden.

    Die Deutschen Schäferhunde und – da die DSH eine direkte Weiterentwicklung der Altdeutschen Hütehunde darstellen – somit auch ihre Vorfahren, die Altdeutschen Hütehunde, gehören dem genetischen Cluster der Wachhunde (Molosser/Doggen) an, während die westeuropäischen Hütekollegen vorwiegend zum genetischen Cluster der Hütehunde zählen. Der Border Collie weist übrigens ein Setter-Pointer-Spaniel-Erbe auf, was seine stark jagdähnliche Hütetechnik erklärt, das typische Anschleichen und Fixieren.  

    „Die Cluster stehen manchmal im totalen Gegensatz zur gewohnten kynologischen Einordnung, so ist der Deutsche Schäferhund im Gegensatz zu anderen Schäferhundrassen kein herding dog, sondern ein watchdog, also ein Mastiff, eine Dogge! Das könnte damit zusammenhängen, dass in Deutschland Wölfe, etwa wegen des Dreißigjährigen Krieges, erst viel später ausgerottet wurden und lange Zeit deshalb die vorhandenen Herdenhunde Herdenschutzhunde waren.“ (21) 

    Der Old English Speepdog (Bobtail), der Australian Shepherd und der Border Collie gehören übrigens nicht dem Cluster der Hütehunde an, sondern dem der Jagdhunde!
    Das Verhältnis zum Hütevieh bei einem aus Jagdhundrassen hervorgegangenen Hütehund dürfte sicher einer anderen Motivation entsprungen sein als bei einem ursprünglichen Hof- und Wachhund. 
O.g. Fakten zeigen, dass die immer wieder zu hörende und zu lesende simple Gleichung „Hüteverhalten = umgewandeltes Jagdverhalten“ beim Altdeutschen Hütehund eben nicht so einfach aufgeht!
 
Allerdings bedeutet o.g. keineswegs, dass der Altdeutsche Hütehund keinen Jagdtrieb hat. Zum einen stammt er natürlich, wie alle Hunde, vom Wolf ab, zum anderen haben auch Wach- und Herdenschutzhunde Jagdtrieb und zum dritten ist er in seiner Geschichte vielfach verkreuzt worden, in jüngerer Zeit sogar gelegentlich mit dem Border Collie, obwohl dieser auf eine völlig andere Weise arbeitet.

Altdeutsche Hütehunde können sogar einen ausgeprägten Jagdtrieb haben, sie reagieren auf alles, was sich bewegt. Sie haben aber einen mindestens ebenso stark ausgeprägten Kontrollzwang. Der zeigt sich nicht nur an der Herde, sondern auch im Hausstand und auf der Hundewiese. Alles muß überwacht werden, für alles fühlen sie sich zuständig, alles muß irgendwie "geordnet" werden. Stellen Sie sich vierbeinige Sheriffs vor, die geradezu zwanghaft für Recht und Ordnung sorgen müssen. Sie nutzen den sogenannten "Griff", ein i.d.R. wohldosiertes, verletzungsfreies Kneifen, um andere Lebewesen (u.U. bei mangelnder Erziehung auch Menschen!) zurechtzuweisen. 

Allerdings kann der Kontrollmodus an der Herde in Sekundenbruchteilen in den Jagdmodus kippen. Das ist aber auch aus anderen Teilen des Sozialverhaltens bekannt, z.B. wenn aus Spiel plötzlich Ernst wird und insbesondere kleine, quietschende Hunde vom Spielpartner zur Beute werden.

Es ist halt alles eine Frage der Erziehung, wie man schon im 18. Jh. wußte: "So zweckmäßig nun ein solcher Hund ist, wenn er gut dressirt worden, so Schaden bringend ist er dagegen, wenn er eine schlechte Dressur hat; denn ein solcher Hund rennt wild unter die Schafe, beißt sie wund, erschreckt die Tragschafe, springt auf sie zu und macht, daß sie niederfallen, und dann vor der Zeit lammen und verwerfen. Er macht sämmtliche Schafe durch sein nutzloses Jagen und Bellen, durch sein zu geschwindes, ungestümes Führen müde, und erhitzt sie." (14)

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