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Altdeutsche Hütehunde als Familienhunde

"Für alle Arbeitshunde gilt als oberste Regel, daß sie eine ordentliche Portion Ausdauer und Elan haben. Ausdauer und Elan sind die Folge von genetischer Vitalität, ergeben aber in Kombination mit Arbeitsverhalten unerträgliche Haushunde. Es kommt nicht oft vor, daß man einen zwanghaften Hund mit Ausdauer und Elan in einem Haushalt lange erträgt. So ein Hund ist normalerweise viel zu aktiv, um sich im Haus wohl fühlen zu können."
"Bei der Zucht auf Haushunde dauert es meist nicht lange, bis die Besitzer gezielt gegen die angeborenen Eigenschaften einer Arbeitshundrasse selektieren, weil sie ziemlich unerträglich werden können. Die angeborenen Verhaltensweisen werden schon bald als zwanghafte Verhaltensstörungen bezeichnet." (R. u. L. Coppinger: Hunde)
 
So oder ähnlich lauten die Aussagen vieler angesehener Kynologen zum Thema Arbeitshunde im familiären Umfeld. Wir, die Mitglieder der IAH, würden unsere Hunde natürlich keineswegs als unerträglich bezeichnen. Sonst hätten wir sie nicht. Im Gegenteil, wir lieben unsere Hunde.
Wohl aber gilt bei allen Rassen, die als Arbeitshunde gezüchtet werden (der Altdt. Hütehund ist da keine Ausnahme), ganz besonders darauf zu achten, ob der eigene Lebensstil zu den Verhaltensweisen des gewünschten Hundes paßt. Selbstverständlich gilt auch bei anderen Hunderassen zu hinterfragen, ob man eher der "Yorkshireterrier-" oder "Cockerspaniel-" oder "Bernhardiner-Typ" ist.


Doch sind Rassen, die nicht mehr für ihren ursprünglichen (Arbeits-) Zweck, sondern vor allem nach Schönheitskriterien gezüchtet werden, in ihrer Haltung meistens weit weniger anspruchsvoll als reine Arbeitsrassen, da innerhalb weniger Generationen alle angeborenen Veranlagungen für die ursprüngliche Arbeitsweise an Qualität und Intensität verlieren. Zumal durch die in der modernen Hundezucht weit verbreitete Inzucht die Vitalität der Tiere oftmals sehr nachgelassen hat und für vergleichsweise lethargische, also ruhige Hunde gesorgt hat, die den Bedürfnissen vieler Halter eher entsprechen.

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Was also sind das für Eigenschaften, die die Haltung der  Altdeutschen Hütehunde in Privathand erschweren können?
  • Bedenken Sie, daß diese Hütehunde meistens stundenlang jeden Tag um die Herde herumlaufen. Ihr wildcaniden-ähnlicher Körperbau ermöglicht ihnen eine energiesparende, ausdauernde Fortbewegung. Das Laufbedürfnis dieser Hunde ist also nicht gerade gering. Ein Altdt. Hütehund wird nicht damit zufrieden sein, an der Leine neben seinem Besitzer dahinzulatschen.
  • Die Arbeit eines Hütehundes besteht nicht darin, den lieben langen Tag dumpf in der Furche vor sich hinzutraben. Im Gegenteil muß der Hund immer ein Auge auf die Herde haben, immer aufpassen, ob nicht ein Tier im benachbarten Feld naschen möchte, immer schnell zur Stelle sein. Das ist nicht nur körperlich anstrengend, sondern geradezu Jogging für's Gehirn. Daraus ergibt sich, daß auch das beliebte Fahrradfahren mit Hund einen Altdt. Hütehund nur körperlich, aber nicht geistig auslasten wird. Er braucht unbedingt auch "Denksportaufgaben", sonst ist er trotz körperlicher Erschöpfung nicht ausgelastet.
  • Die Altdt. Hütehunde müssen bei ihrer Arbeit nicht nur einen "lebenden Zaun" bilden, um die Herde zusammenzuhalten, sondern auch, um sie vor ungebetenen Eindringlingen (zweibeinige und vierbeinige) zu schützen. Viele weisen also einen nicht unerheblichen Wach- und Verteidigungstrieb auf. Obwohl bei der Zucht übermäßige Aggression unerwünscht ist (welcher Schäfer legt schon Wert darauf, daß sein Hund regelmäßig harmlose Passanten beißt), können die vorgenannten Anlagen im Hausstand unangenehm werden.

    Je weniger so ein Hund beschäftigt wird, um so mehr wird er sich wahrscheinlich aber auf genau diese Aufgaben konzentrieren. Rechnen Sie also damit, daß ein Altdt. Hütehund ein nicht gerade leiser Hund sein kann. Ein gelangweilter Hund könnte seinen erfüllenden Job darin finden, alles, die Milben im Teppich und die Fliegen an der Wand, lautstark zu melden. Wenn Sie nicht gerade "mitten in der Pampa" oder zwischen schwerhörigen Nachbarn wohnen, kann das ziemlich belastend werden.

    Auch ein Hund, der den Sinn seines Lebens nur darin sieht, seine Familie, Heim und Garten zu verteidigen, wird nicht uneingeschränkte Freude verbreiten. Besonders dann nicht, wenn der Freundeskreis immer kleiner wird, weil sich keiner mehr zu Besuch traut. ;-)
  • Bedenken Sie, daß die Altdt. Hütehunde bei ihrer Arbeit eine ordentliche Portion Durchsetzungsvermögen zeigen müssen. Sie müssen in der Lage sein, auch einen stinksauren Ziegenbock in seine Schranken zu weisen und sich auch dann nicht beeindrucken lassen, wenn der Schafbock sie gerammt hat oder die Kuh einen schmerzhaften Tritt plazieren konnte.
    Sie als Halter müssen also zwangsläufig mehr Durchsetzungsvermögen zeigen als Ihr Hund. Wenn Sie ihm nicht von Anfang an zeigen, daß Sie, Sie und nur Sie das Sagen haben, hat Ihr Hund sie womöglich schneller im Griff als Ihnen lieb ist (und das mit dem "Griff" kann hier manchmal sogar wörtlich genommen werden).
  • Bedenken Sie, daß ein Altdt. Hütehund in der Lage sein muß, selbständig zu arbeiten. Es würde dem Schäfer herzlich wenig nützen, wenn dieser seinem Helfer jeden einzelnen Schritt befehlen müßte. Zumal er im "weiten Gehüt" unter Umständen gar nicht sehen kann, wenn auf der anderen Seite der Herde ein Schaf aus der Reihe tanzt. Der Hund muß also selber entscheiden, was zu tun nötig ist und was nicht.
    Leider zeigt er diese selbständige Entscheidungsfreudigkeit auch im Hausstand. Eine "partielle Schwerhörigkeit" Ihres Altdeutschen darf Sie daher nicht wundern. Sie werden unter Umständen ein ganzes Hundeleben lang unbeliebte Kommandos wieder und wieder durchsetzen müssen. Unbedingte Konsequenz muß Ihre Maxime sein, sonst wird Ihr Hund seine Ohren immer öfter auf Durchzug stellen.
  • Die meisten Altdeutschen verkörpern eine auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinende Mischung aus Sensibilität und Härte. Härte, um wie schon erwähnt trotz schmerzhafter Kontakte wieder und wieder ans Vieh zu gehen. Sensibilität, um auch auf weite Distanzen durch den Schäfer lenkbar zu sein.
    Diese Kombination macht es besonders für unerfahrene Hundehalter schwer, die Balance zu halten zwischen den verschiedenen Erziehungsmethoden.
    Zudem ist die Aufteilung dieser Eigenschaften von Individuum zu Individuum sehr verschieden. So können Sie einen Hund erwischen, der bei einem lauten "Nein" Ihrerseits förmlich zusammenbricht, am Vieh aber trotzdem den Helden gibt, wie auch einen Hund, den Sie - bildlich gesprochen - "an einen Baum nageln" müssen, damit er unterläßt, was er nicht soll.

    Diese Kombination von sensibel und hart könnte es erschweren, eine geeignete Hundeschule zu finden, da viele ausschließlich eine Methode vertreten (und zudem wenig auf die speziellen Marotten von Hütehunden eingestellt sind). Im Extremfall die veralteten Hauruck-Schmerz-Methoden der 60er oder die ausschließliche positive Bestärkung, die zur Zeit in Mode ist.
    Brutalität in der Hundeerziehung sollte nun wirklich passé sein, aber auch das auschließliche Belohnen erwünschten Verhaltens bringt Sie nicht immer weiter. Ihre Umwelt könnte ein wenig irritiert reagieren, wenn Ihr Hund meint, eine Gruppe Kinder mittels Wadenzwicken hüten zu müssen, und Sie ignorieren es und warten darauf, daß er aufhört, damit Sie das dann positiv bestärken können...
  • Wir erleben unsere Altdt. Hütehunde als tendenziell eher unsichere Hunde. Für den Schäfer macht das Sinn: Der Hund findet seine Sicherheit in seiner Aufgabe.
    Er wird daher weniger geneigt sein, die Furche zu verlassen, um mit der nett riechenden Spaziergängerin anzubändeln oder gar auf eigene Faust die Umgebung zu erkunden. Außerdem sind unsichere Hunde viel bessere Wachhunde als die selbstsicheren, in sich ruhenden mit ihrer "Mir kann eh keiner was"-Einstellung.
    Für den Privathalter hat das den Vorteil, daß sich der Altdt. Hütehund sehr schnell und eng an einen Halter bindet, der ihm Sicherheit vermitteln kann. Umgekehrt heißt das allerdings, daß eine Beziehung arg gestört ist, wenn der Halter dazu nicht in der Lage ist.
  • Altdt. Hütehunde sind ungemein leicht zu motivieren. Sie sind immer und jederzeit zu Unternehmungen bereit. Das und der gut gemeinte Wille, den Hund auch ja auszulasten, verführen leicht dazu, den ständigen Animateur für den Hütehund zu spielen.
    Nein, so war das mit dem Auslasten auch wieder nicht gemeint! Geben Sie dem Beschäftigungsdrang Ihres Hundes jedesmal nach, erziehen Sie ihn zum "Quengeln". Er wird mehr und mehr von Ihnen fordern. Sie müssen ihm beibringen, daß es Zeiten zum Spielen/Arbeiten gibt und Zeiten zum Ruhen, und diese Zeiten bestimmen Sie. Auf die Arbeit folgt der Feierabend. Auch bei Hunden.
  • Altdt. Hütehunde lernen leicht und schnell. Leider auch das, was sie nicht lernen sollten. Leicht kann es zu unbeabsichtigten Fehlverknüpfungen kommen. Was der Hund einmal verinnerlicht hat, ist schwer wieder herauszubekommen.
  • Unausgelastete Altdt. Hütehunde, aber auch solche mit zu "laschen" Besitzern können viele unerwünschte Verhaltensweisen zeigen. Die Vierbeiner zeigen dabei einen erstaunlichen Erfindungsreichtum. Zum Beispiel:

    - Möbel und andere Gegenstände zerlegen
    - Selbstverstümmelung/Autoaggression
    - gesteigerte Aggression gegen Artgenossen
    - " " gegen Menschen
    - Jagen, auch Autos, Jogger und Fahrradfahrer
    - Hüten von unangebrachten Objekten, z. B. Kinder oder andere Haustiere  
    - übersteigertes Wach- /Verteidigungsverhalten
    - extremes Bellen
Der Altdeutsche Hütehund - also doch nicht für's Familienleben geeignet?
Zu kompliziert? Zu anstrengend?
Nun, wie man's nimmt. Er braucht eben Halter mit Engagement!
Sportliche Leute, Naturfreunde, Hundesportfans, Leute, die einfach Freude an wie auch immer geartetem Hundetraining haben.
Die Exemplare, die als problemlose Kinderkumpel in der Familie "einfach so mitlaufen" können und sich fast noch von selbst erziehen, sind bei den Altdeutschen jedenfalls sehr selten (aber auch das soll vorkommen).

Andererseits ist ein Altdt. Hütehund sicher nicht schwerer zu erziehen als der zur Zeit so in Mode gekommene Jack-Russel-Terrier oder der nie aus der Mode kommende Dackel.
Nur, wie viele Halter verzweifeln an ihren Terriern, weil sie die Bedürfnisse der Tiere unterschätzt haben und sich von dem "klein und niedlich" blenden ließen? Wie viele Kleinterrier verbringen ihr Leben als unerzogener, nervtötender Kläffer an der Flexileine?

Was bei dem Handtaschenformat von den Mitmenschen noch als
"Gernegroß" belächelt wird, kann bei größeren Hunden wie den Altdeutschen Hütehunden schnell als verhaltensgestört und gefährlich angesehen werden. Der Anruf beim Ordnungsamt wird heutzutage schnell getätigt und es drohen Leinen- und Maulkorbzwang. Immer restriktivere Gesetze erschweren die Hundehaltung ohnehin.

Jeder angehende Hundehalter sollte sich daher wohl überlegen, welchem Hundetyp er gerecht werden könnte. Die Frage muß sein, was Sie einem Hund bieten können und nicht in erster Linie, welcher Hund Ihnen gefällt. 

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Nicht immer sind langjährige Hundehalter die besten. "Wir haben seit 20 Jahren Hunde. Das haben wir immer so gemacht." kann genausogut heißen, 20 Jahre lang vieles falsch gemacht zu haben. Anfänger, Ersthundehalter, die zu lernen bereit sind, kommen oft besser mit ihren Hütehunden klar als solche, die jahrelang ganz anders geartete Hunderassen hielten, aber stur nach "Schema F" erziehen.

 
Bereits jetzt ist der Trend zu verzeichnen, daß immer mehr Altdt. Hütehunde (an erster Stelle steht hier der Harzer Fuchs, der viele Leute durch seine schöne Farbe betört) wegen Überforderung der Besitzer im Tierheim landen oder anderweitig zu vermitteln sind. Lassen Sie nicht zu, daß es noch mehr werden!

Falls Sie bereits Besitzer eines Altdt. Hütehundes sind, mit dem Sie Schwierigkeiten haben, dann werfen Sie bitte nicht gleich die Flinte ins Korn. Fragen Sie in unserem Forum, wenden Sie sich an eine Hütehund-erfahrene Hundeschule oder schreiben Sie uns. Bevor Sie Ihrem Hund das Tierheim zumuten, können wir versuchen, ihn direkt zu vermitteln. Wir sind kein Zuchtverein und machen keine Unterschiede zwischen Altdeutschen mit AAH-Papieren oder ohne oder Mixen. Hund in Not ist Hund in Not.   

Doch wenn Sie und der Altdeutsche Hütehund zueinander passen wie Schloß und Schlüssel (Auch Schloß und Schlüssel müssen manchmal erst passend gemacht werden: manchmal quietscht es gewaltig, bevor es geht wie geschmiert), dann werden Sie von den Eigenschaften dieser wundervollen Hunde begeistert sein und nie mehr andere haben wollen!

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