Was ist ein Standard? Nun, was das "Hundewesen" angeht: Die akribische Beschreibung des Idealtyps einer Rasse, entwickelt und herausgegeben von den zuständigen Vereinen des Landes, dem die betreffende Rasse zugehört.
Dem Richter auf Ausstellungen, aber auch dem potentiellen Käufer sollen damit Richtlinien an die Hand gegeben werden. (Merke: Bei uns werden Zuchtrichter ernannt. Nicht ausgebildet!) Im ersten Fall etwas, wonach sich der Richter orientieren soll und muß, im zweiten eine Bewertungsmöglichkeit auch und gerade für den Laien. Der allerdings kauft mit dem Welpen immer die Katze im Sack, denn aus dem dickbäuchigen Etwas, das mit zirka acht Wochen in erster Beglückung nach Hause getragen wird, soll ja erst der mehr oder weniger in den Standard passende Hund werden. Deshalb ist es ja doch wichtig, daß auch wenigstens ein erwachsenes Exemplar in Augenschein genommen werden kann. Im Idealfall natürlich der Erzeuger, denn die Hündin sieht am Ende der Säugezeit ziemlich ramponiert aus - auch bei bester Pflege -, und es gehört schon etwas Sachverstand dazu, sie sich im Normalzustand vorzustellen.
Außerdem gibt es recht unscheinbare Hundemütter, die mit Regelmäßigkeit nur das Äußere des Rüden weitergeben. Die Vaterkinder laufen gewissermaßen nur durch sie durch. Und hier schon ergeben sich erste Zweifel am Sinn des Standards. Er gibt eben nur das Optische wieder, kann gar nichts anderes bewirken, die genetischen Eigenschaften des betreffenden Hundes müssen versteckt bleiben, können bei der Benotung keine Rolle spielen.
Die erwähnte Hündin zum Beispiel ist eine vorzügliche Vererberin, gebiert problemlos und ist eine optimale Mutter. Dennoch wird sie auf sogenannten Zuchtshows niemals mit "vorzüglich" bewertet werden, ihr glanzloses Äußeres verweist sie auf die hinteren Ränge. Der Standard will es so. Und der Besitzer der Hündin wird Schwierigkeiten haben, für sein minderbewertetes Tier einen erstklassigen - wenigstens erstklassig aussehenden - Rüden zu bekommen. Wieviel wertvolles Erbgut durch die Überbewertung der äußeren Form der jeweiligen Rasse verlorengeht, darüber gibt es keine Statistik, aber der Niedergang so vieler Rassen spricht eine deutliche Sprache. Was ist schon Schönheit? Wie viele glänzende Eltern haben unbedeutende Kinder und vice versa.
Eine mögliche Gewähr für wertvolle Nachzucht kann der
Standard also schon aus erwähnten Gründen nicht
garantieren. Was kann er dann? Er kann noch weiter
selektieren, so lange, bis von der betreffenden Rasse so
gut wie nichts mehr übrig ist. Indem er beispielsweise die
Verpaarung von Elterntieren verhindert, die der jeweiligen
Rasse gut anstehen würden.
Da hat zum Beispiel ein
Boston Terrier, der im übrigen ohne Makel ist, das eine
Auge nicht im schwarzen Fellbereich. Dies aber schreibt
der Standard zwingend vor. Und - schwupp ist der schöne
kleine Hund raus aus der Zucht. Bei einer Rasse mit
hierzulande so geringem Potential ist dies ein großer Fehler, nicht die Fehlfarbe. "Fehlerhaft getragene" Ohren oder Schwänze, insgesamt etwas zu große oder zu kleine Exemplare - es geht da oft um Zentimeter, muß man wissen -, nicht die ideale Behaarung - "zu weich, zu fest, zu lockig, nicht lockig genug"-, alles Dinge, die nichts mit der Gesundheit, dem Wesen, nicht einmal etwas mit dem Formwert oder der "Schönheit", wie immer man die definieren will, zu tun haben.
Das Beispiel Deutsche Dogge. Es gibt sie in fünf Farbschlägen, die untereinander meist nicht verpaart werden dürfen. Die Folgen: Da es von diesem sehr großen Hund verständlicherweise nicht allzu viele gibt, führt das Verpaarungsverbot verschiedener Farben notwendigerweise zur Inzestzüchtung und schließlich zu erbarmungswürdiger Degeneration, physisch und psychisch. Zumal auch Farbfehler der Augen - "zu hell, durchdringend im Ausdruck (!), gelb, hellblau oder wasserblau oder unterschiedlich gefärbt, zu weit auseinanderliegend" - zusammen mit anderen unerheblichen Fehlern zum Zuchtausschluß führen können. Hätte der Standard nicht willkürliche Schranken gesetzt, wo es nichts zu beschränken gibt, wir hätten heute keine Doggen, die mit sechs Jahren schon vergreist sind oder tot, die überängstlich sind und mit vielerlei Knochen- und Gelenkdefekten geplagt.
Gehen wir doch einmal nach diesen grundsätzlichen Erwägungen ein paar Standards querbeet durch, diese Fetische des modernen Hundezüchtens auf Sinn und Unsinn abklopfend.
Irgendwann muß es ja wohl angefangen haben. Irgendwann hat ein Richter einen weißen Hund angefaßt und hatte die Hände voll Kreide. Oder voll Fett. Oder mit Spray verkleistert oder mit Haarfestiger. Oder mit allem zusammen. Und dann hat dieser Richter nicht etwa den Aussteller mit ausgestrecktem Zeigefinger aus dem Ring gewiesen, sondern dem Besitzer vielleicht ein Auge gekniffen und den Hund erfreulich benotet.
So oder so ähnlich muß es gewesen sein, und von da an hatten es die meisten langhaarigen Hunde bitter schwer. Ein Kurzhaariger sollte infolge seines guten Gesundheitszustandes glänzen, aber wenn nicht, kann ihm nicht viel mehr passieren, als daß er mit irgendwas gewissermaßen aufpoliert wird.
Dagegen die armen Yorkshire, Malteser, Löwchen, Pekinesen, Afghanen, West Highland, Fox und Airedale Terrier, die Bobtails und Bedlingtons und - allen voran - die Pudel: Was müssen diese armen Hunde ausstehen, gepeitscht vom milden bis rasenden Irrsinn ihrer Besitzer und Züchter, gedultet und prämiert von Richtern und Ausstellungsleitern. Da wird gefönt und gewickelt und gewirbelt, gestrählt und geschnippelt, rasiert und geschmiert und garniert. Und gelogen und betrogen.
Die Bedlingtons, eine sehr "griffige Rasse", macht der Friseur zu Lämmern mit Rückgratverkrümmung.
Dem Bichon-Löwchen hat man die kälteempfindlichen Hinterteile kahl geschoren. Die rauhhaarigen Terrier wirken wie aus Holz geschnitzt, und den Westies wird ihr abhanden gekommenes "Ziegenhaar" mit Hilfe von Vaseline und Kreide wiederhergestellt.
Kreidewolken auch bei den weißen Bulldogs und Bull Terriern. Als der Westhighland White Terrier explosionsartig Mode wurde, schnippelte man sein pfiffiges Gesichtchen zum "Chrysanthemenkopf" und begann, ihn zu verzwergen.
Weiß der Teufel, was da heimlich, heimlich eingekreuzt wurde, von Maltesern wird gemunkelt - wäre ja auch naheliegend -, jedenfalls verlor der Westie aus geheimnisvollen Gründen weitgehend seine schöne harte Behaarung, die man sich nun genötigt sieht, mit dieser Ekelpackung - siehe oben - wiederherzustellen.
Von all dem Gefummel steht natürlich nichts in irgendeinem Standard. Außer beim Pudel. Der darf nur in drei Frisuren ausgestellt werden: klassische Schur, moderne Schur und der sogenannte "English Saddle Clip". Bei letzterem wird dieser kluge und freundliche Hund erbarmungslos zum Idioten frisiert, teils
nackt, teils mit hochtoupierten Pompons hier und nochwo. Nierengegend, After und Genital bleiben kahl. Gerade dort braucht der Hund Wärme. Ein grauenvoller Anblick! Eine Schande für alle mit dem Hund befaßten offiziellen Gremien und Verbände! Eine Tortur, diese tagelange, stets wiederholungsbedürftige Prozedur der Herstellung dieser Buchsbaumhecke von einem Hund.
Man darf seinen Pudel allerdings in jeder Form ausstellen, bekommt dann aber keine offizielle Auszeichnung, und damit ist der Hund praktisch raus aus der Zucht. Prämiert wird hier kein Hund, sondern sein Friseur. Und Besitzer, die ihren Hund nicht verdient haben.
Was also bewirkt der Standard, was kann er verhindern? Er bewirkt nichts Gutes und verhindert nichts Böses und Blödes.
Denn das, was beherzigt werden sollte, weil es der Rasse guttäte, wird ignoriert. Auf das Unwichtige oder Schädliche wird penibel geachtet. Das Überflüssige, Affige, Eitle wird geduldet, wenn nicht sogar gefördert. Seltene Ausnahmen bestätigen die betrübliche Regel.